Das Bild zeigt einen Fernseher aus Karton. Auf dem Bildschirm aus Papier steht in blauer und roter Handschrift mehrmals "bla bla bla".

Mit diesen Mitteln bezwingt der Journalismus die Propagandamaschinen

Immer mehr Menschen holen sich Informationen aus den sozialen Medien. Doch es gibt Wege, wie Nachrichtenmedien die Konsument:innen zurückholen können, sagt der Kommunikationswissenschaftler Josef Seethaler.

Etwa jeder fünfte Mensch in Österreich hat sich von den klassischen Medien abgewandt. Das sagt der Kommunikationswissenschaftler Josef Seethaler von der Akademie der Wissenschaften. Diese Gruppe von Menschen bezieht ihre Informationen vorrangig aus den Sozialen Medien. Was sich diese Konsument:innen wünschen und wie glaubwürdige Medien sie erreichen können, untersuchen Seethaler und sein Forschungsteam nun in einer europaweiten Studie.

Das Bild zeigt mehrere Dokumente. Auf diesen sind abstrakte Grafiken und Diagramme abgebildet.

Mehr über die Studie

Das Ziel des Projekts „MeDeMAP“ ist es, die Demokratie zu stärken. So sollen Medien verantwortungsbewusster, transparenter und effektiver sein. Beteiligt sind neben Österreich auch Wissenschaftler:innen aus Tschechien, Italien, Polen, Portugal, Estland, Frankreich, Irland, Slowenien. Wenn alle Ergebnisse vorliegen, dann werden die Forschenden Ratschläge vorlegen, und zwar für Medienpolitik, Medienhäuser und Bürger:innen. Unter diesem Link erfahrt ihr mehr über das Projekt.

Neben den üblichen Umfragen und Interviews bewege sich das Team methodisch „abseits der ausgetretenen Pfade“, so der Kommunikationswissenschaftler Josef Seethaler. Es nutzt nämlich Bürgerparlamente in fünf europäischen Ländern. „Diese sind möglichst vielfältig zusammengesetzt. Sie treffen sich und diskutieren Themen, die sie sich teils selbst setzen. Am Ende wird es auch ein Event im Europäischen Parlament geben“. So erfahren die Forscher:innen also direkt von den Menschen, wie sie sich die Rolle der Medien in der Demokratie vorstellen.

Was die Menschen wollen

Obwohl die finalen Ergebnisse noch ausstehen, weiß Josef Seethaler schon jetzt, was das größte Anliegen der Bürger:innen ist: „Sie wünschen sich mehr Kontext, Einordnung und Orientierung. Das ist ein ganz starker Wunsch“, sagt er. Konkret meint er damit: Interpretation, gekennzeichnete Meinung, Erklärungen. Denn diese regen die Konsument:innen an, darüber nachzudenken, welche Rolle ein Ereignis oder eine Information in ihren eigenen, persönlichen Lebenszusammenhängen spielt, so Seethaler.

Die gute Nachricht ist, dass sich viele Journalist:innen bereits jetzt darüber im Klaren sind, dass Konsument:innen mehr Orientierung wollen. Außerdem sagt er: „Unsere Daten zeigen, es ist machbar, Menschen von den Propagandamaschinen zurück in den Diskurs zu holen.“ Dafür müssten in Österreich aber drei Schritte gesetzt werden.

Drei Schritte für einen effektiveren Journalismus

Erstens muss sich hierzulande die Förderungspolitik ändern, so Seethaler. Es muss finanzielle Anreize für Qualitätsmedien geben, die Leser:innen, Zuhörer:innen und Zuschauer:innen auf innovative Weise ansprechen. Gerade im Internet gäbe es immer mehr „seltsame Kanäle, die so tun, als ob sie Journalismus betreiben, aber tatsächlich Propaganda machen“, so der Experte. Bei den Konsument:innen erzeuge das Verwirrung. Er ist überzeugt: „Die große Mehrheit der Medienangebote ist gefragt, inklusivere Angebote zu machen, durch die sich Menschen angesprochen fühlen, um sie wegzuholen von den Propagandamaschinen.“

Das Foto zeigt den österreichischen Kommunikationswissenschaftler Josef Seethaler. Er schaut direkt in die Kamera. Er trägt ein blau-weiß kariertes Hemd und eckige Brillen mit dünnem Rand.

Josef Seethaler

Der Kommunikationswissenschaftler unterrichtet an den Universitäten Wien und Klagenfurt. Unter anderem beschäftigt er sich mit politischer Kommunikation, Journalismus, Mediensystemen und Mediengeschichte. Er leitet das internationale Forschungsprojekt “Medien, Politik und Demokratie” in Österreich.

Zweitens bräuchte es neue Geschäftsmodelle. Seethaler wünscht sich etwa mehr Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich organisierten Medien. Das gälte vor allem online, aber durchaus auch im Printbereich. „Warum können sich nicht die renommierten Printangebote, die sehr starke Online-Ableger haben, zusammentun und eine gemeinsame Plattform schaffen, wo sie diese Menschen erreichen?“, fragt der Kommunikationswissenschaftler.

Drittens braucht es laut Seethaler Anreize für den Lokaljournalismus, um Menschen noch besser in ihrem nahen Lebensumfeld anzusprechen. Den Verlust des Lokaljournalismus sieht der Experte als eine der größten Gefahren.

Vorbilder „funk“ und „Zeit im Bild“ auf TikTok?

Welche Medien schaffen es bereits, Konsument:innen mit verständlichem und persönlich relevantem Journalismus abzuholen? Also Vorzeigebeispiel nennt Seethaler „Funk“, das deutsche Online-Content-Netzwerk der öffentlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF. Seit 2012 richtet es seine Angebote im Internet vor allem an eine jüngere Zielgruppe, vorrangig Jugendliche und junge Erwachsene bis 29 Jahre. 2024 gab es eine inhaltliche Neuausrichtung.

Auf dem YouTube-Kanal “Die da oben!” informieren Jan Schipmann, Aline Abboud und Victoria Reichelt über aktuelle Debatten aus dem Deutschen Bundestag.. Der Kanal ist Teil von Funk. (Quelle: @DieDaOben auf YouTube, 24.2.2025)

Auf dem funk-YouTube-Kanal und seinen Unterkanälen findet man aktuell Erklär-Videos zur deutschen Bundestagswahl und zu den Massenprotesten in Serbien, gemischt mit Clips über Fußball, Feminismus und Comedy. Zwischen 2023 und 2024 stieg die Nutzung bei den 14- bis 19-Jährigen um elf Prozent – wohlgemerkt kommen die Umfragedaten aus einer durch die öffentlich-rechtlichen Sender selbst beauftragten Marktforschung. Ein Redakteur der deutschen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ findet die Zahlen fragwürdig. Dass „funk“ ein jüngeres Publikum erreicht als ARD und ZDF scheint allerdings unbestritten.

Seit 2021 ist die “Zeit im Bild” auch auf der Social Media-Plattform “TikTok” aktiv. Mit Stand April 2025 hat der Kanal über 580 Tausend Follower:innen. (Quelle: @zeitimbild auf TikTok)

Hierzulande bemühe sich zumindest der ORF darum, jüngere Mediennutzer:innen anzusprechen, etwa durch die TikTok-Version der „Zeit im Bild“, sagt Seethaler. Dort folgen der Sendung derzeit über eine halbe Million Menschen. Die 30 bis 45 Sekunden langen Videos über den Tod von Papst Franziskus, die Debatte über eine Wehrpflicht für Frauen und einen Arzt, der Patientinnen ermordet haben soll, erreichen zwischen 100.000 bis zu 800.000 Aufrufe.

Inklusion – mehr als ein Lippenbekenntnis

Trotz des Erfolgs dieser Kanäle bezweifelt Seethaler allerdings, dass die Erkenntnis, wie wichtig neue Formate für übersehene Bevölkerungsgruppen sind, bereits in die „Management-Etagen der Medienhäuser“ vorgedrungen ist.

Alltagsrelevanz, Einordnung, Verständlichkeit: Medien, die diese Ansprüche nicht erfüllen, verfehlen auch ihre demokratiepolitischen Pflichten, und somit langfristig auch das Vertrauen der Menschen. Inklusion dürfe nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sagt Seethaler. Medien, die diesen Worten Taten folgen lassen, schützen die Demokratie.  

Das Bild ist ein Selfie. Es zeigt Wissensnah-Redakteurin Magdalena Schwarz von vorne. Sie trägt zwei schwarze Taschen, in denen ein Stativ und eine Kamera sind. Sie trägt eine grüne kurze Jacke, helle Jeans und weiße Sneaker.

Über diese Recherche

Ich habe mit Josef Seethaler im April 2025 per Video-Call gesprochen. Meine Fragen kannte er vorab nicht. Er hat alle beantwortet – nur ab und zu hat Josef Seethaler auf noch ausstehende Forschungsergebnisse verwiesen, die erst im Herbst kommen werden. Das Interview habe ich aufgeschrieben, ohne dass Josef Seethaler es noch einmal gelesen hat. Außerdem habe ich mich über das von ihm geleitete Forschungsprojekt informiert und Informationen über innovative Medienprojekte recherchiert. Ich hätte gerne auch noch mit weiblichen Forscher:innen gesprochen. Leider war dies aber aus terminlichen Gründen dieses Mal nicht möglich. Hier findet ihr die Quellen, die ich für diese Recherche genutzt habe:

“Mapping Media für Future Democracies” (MEDEMAP)

“Verändertes Portfolio zeigt messbare Erfolge: funk ist so jung und erfolgreich wie nie zuvor”, Pressemeldung der ARD, 1. Oktober 2024

“Funk? Kenn ich doch!”, Kommentar auf FAZ online, 2. Oktober 2024